Über die Chancen und Möglichkeiten von beruflichem Erfolg im Einklang mit einer chronischen Krankheit - und wie man Menschen mit Diagnose als Health Coach unterstützt.
Kara Pientka im Gespräch mit ihrer ehemaligen Auszubildenden Britta Dohr
Frau Dohr, wie war Ihr Weg ins Coaching? Was haben Sie beruflich gemacht und wann und durch was begann Ihr Interesse an Coaching?
Ich komme ursprünglich aus der Beratung und habe mein gesamtes bisheriges Berufsleben in den Bereichen Finanzen, Steuern und Wirtschaftsprüfung verbracht. Zuletzt bin ich viele Jahre als Geschäftsführerin einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig gewesen und habe dort den Bereich Family-Office, d.h. ich habe sehr vermögenden Privatkunden und Stiftungen betreut. Obwohl man in einem Family-Office eine sehr persönliche und intensive Beziehung zu vielen Kunden und auch zu den Geschäftspartnern aufbaut, ist die gesamte Branche immer noch sehr zahlen- und performanceorientiert.
Mein Interesse hat aber immer vor allem den Menschen gegolten – meinen Kunden und meinen Mitarbeitern. Ich habe als Führungskraft erleben dürfen, wie sich Menschen entwickeln können, wenn man nicht nur auf deren beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten schaut und sie an Ergebnissen und Output misst, sondern den gesamten Menschen in den Mittelpunkt stellt, mitsamt seinem Erfahrungsschatz, seinem Wissen, aber auch mit seinen Sorgen und Nöten.
Mich hat in den letzten Jahren in der Wirtschaftsprüfung immer mehr der Wunsch beschäftigt, den Menschen in das Zentrum meiner Tätigkeit zu stellen und nicht die Zahlen und die finanziellen Ergebnisse. So ist dann auch der Ruf in mir immer stärker geworden, mein bisheriges Berufsleben hinter mir zu lassen und mich voll und ganz dem Coaching zu widmen.
Sie arbeiten mit den unterschiedlichsten Klienten, mit Privatpersonen, mit Führungskräften und Unternehmer:innen. Ihre Expertise liegt jedoch in der Begleitung von chronisch Kranken. Was ist da Ihre Motivation? Wie kam es zu dieser Positionierung?
Meine Positionierung und damit auch das, was mich jeden Tag motiviert, stammen aus meiner eigenen Geschichte. Ich bin selbst chronisch krank, habe aber fast mein gesamtes Berufsleben niemandem davon erzählt. Ich hatte immer die Befürchtung, dass dies meine Karrierechancen verschlechtern wird.
Ich war Mitte 20, als meine Krankheit, der systemische Lupus erythematodes, diagnostiziert wurde, und war gerade in meinen ersten Job gestartet, hatte große Pläne und wollte „hoch hinaus“. Ich hatte Angst, dass die Kollegen und vor allem auch meine Vorgesetzten in mir nur noch „die Kranke“ sehen, der man ja nichts zutrauen kann. So bin ich oft mit Schmerzen arbeiten gegangen und habe für jeden Arzttermin Urlaub genommen. Ich glaube, dass ich nicht die Karriere gemacht hätte, die ich gemacht habe, wenn ich meine Krankheit damals offenbart hätte. Aber mich hat auch immer die Frage beschäftigt, ob nicht auch ein anderer Weg möglich gewesen wäre. Denn die Krankheit ist auch ein Teil von mir und es hat sich immer so angefühlt, ob ich diesen Teil von mir verstecken muss.
Heute arbeite ich mit meinen Klienten daran, ihren ganz eigenen Weg im Umgang mit ihrer Krankheit zu entwickeln und zu gehen, da ich der festen Überzeugung bin, dass man einen beruflich erfolgreichen Weg auch im Einklang mit einer Krankheit gehen kann.
Was sind die typischen Fragestellungen Ihrer Klienten? Können Sie ein paar Beispiele skizzieren?
Meine Klienten kommen mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen ins Coaching. Sehr häufig geht es um die Frage, ob man die Krankheit im Unternehmen offenlegen soll. Auslöser kann sein, dass der Klient an einen Punkt gekommen ist, an dem sich die Krankheit nicht mehr verheimlichen lässt, weil z.B. Teile des Aufgabenbereichs nicht mehr ausgeführt werden können oder weil die Krankheit körperlich einfach immer deutlicher wird. Hier bestimmt dann die Sorge vor negativen Konsequenzen bis hin zum Arbeitsplatzverlust die Gedanken der Klienten. Wie kann man zu der eigenen Krankheit und den damit verbundenen Einschränkungen und speziellen Bedürfnissen stehen, ohne als Bittsteller oder in den Augen der Kollegen als „Drückeberger“ wahrgenommen zu werden?
Bei einer beruflichen Neuorientierung kann es darum gehen, ob die Krankheit direkt offen angesprochen wird und in welche Richtung man sich diesbezüglich positioniert. Wie kann man vielleicht schon vorher herausfinden, wie inklusiv ein Unternehmen ist?
Aber die Themen gehen auch in den privaten Bereich. Wie schaffe ich es, meine Krankheit zu akzeptieren, mit ihr zu leben, ohne mich davon bestimmen zu lassen? Wie bringe ich Leben, Beruf und Krankheit in Einklang? Themen wie die richtige eigene Einstellung zur Krankheit, aber auch das Erkennen und Anerkennen der eigenen Bedürfnisse stehen dann im Vordergrund.
Sie bieten auch Coachings im Unternehmenskontext an. Wie kann man sich das Setting hier vorstellen?
Unternehmen schauen mit einer anderen Sichtweise auf das Thema Krankheit; meist steht der wirtschaftliche Aspekt im Vordergrund. Es geht vor allem um die Themen Reduktion von Krankheitstagen, Vermeidung von Konflikten im Team, aber auch Integration von kranken Mitarbeitern im Unternehmen. Im unternehmerischen Kontext geht es vor allem um die Themen Verstehen und Verständnis, und zwar von allen Seiten, sowohl für und von den kranken Mitarbeitern, den entsprechenden Teams als auch der Leitungsebene. Je nach Bedarf und auch aktueller Lage arbeite ich hier mit den betroffenen Mitarbeitern und auch dem gesamten Team.
Ich erlebe es aber in den Unternehmen auch, dass häufig bei den Führungskräften eine große Unsicherheit und ein daraus resultierender Informationsbedarf bestehen. Informationsbedarf über das Thema chronische Krankheiten, aber auch Fragen, die den Umgang mit kranken Mitarbeiten betreffen. Neben den unternehmerischen Anforderungen bleibt oft zu wenig Zeit für einzelne Mitarbeiter und deren spezielle Bedürfnisse. Durch meine eigenen Erfahrungen als Führungskraft kann ich auch diese Seite gut verstehen. In meiner Arbeit mit Führungskräften steht daher oft zu Beginn die Beratung im Vordergrund.
Sie leiden ja– wie Sie eben selbst erzählt haben – unter einer chronischen Erkrankung. Haben Sie aufgrund Ihrer eigenen Geschichte den Bedarf an Coaching entdeckt? Welche Erfahrungen haben Sie selbst machen dürfen und müssen?
Ich habe Coaching im Unternehmen früher vor allem als Vertriebscoaching erlebt, ein Instrument, das zusätzlich noch den Zahlendruck erhöht hat – ein Verständnis von Coaching, das ich mit meiner heutigen Erfahrung und Ausbildung nicht mehr teile.
Oft habe ich Führungskräfte und später auch meine Kollegen auf der Führungsebene erlebt, die sich sehr negativ über kranke Mitarbeiter geäußert haben. So habe ich mich dann auch in meiner eigenen Entscheidung, die Krankheit zu verheimlichen, eher bestätigt gefühlt.
Ich habe mir aber immer wieder die Frage gestellt, ob nicht auch ein anderer Umgang mit meiner Krankheit im beruflichen Umfeld möglich wäre. Es hat mich belastet, mit Schmerzen arbeiten zu gehen, damit keiner merkt, was mit mir wirklich los ist. Immer wieder Urlaub zu nehmen, wenn ein Arzttermin anstand, oder wieder eine Ausrede für den Betriebsausflug zu erfinden, bei dem eine Outdoor-Veranstaltung geplant war, ich aber mit meiner Erkrankung nicht in die Sonne darf.
Ich hätte mir eine Art Sparringspartner gewünscht, jemanden, der mich versteht, mit dem ich auch einfach mal verschiedene Optionen durchdenken kann. Denn ich habe diesen Rückhalt weder im familiären Umfeld noch im Freundeskreis gefunden. Letztendlich konnte keiner mich mit meiner Krankheit und meine damit verbundenen Sorgen verstehen.
Aber auch später, als ich mich dazu entschieden habe, offen mit meiner Krankheit umzugehen, wäre es für mich hilfreich gewesen, einen Gesprächspartner zu haben, der mich und meine Erfahrungen nachvollziehen kann.
Daher versuche ich heute für meine Klienten sowohl Coach, Sparringspartnerin aber auch Mentorin zu sein – ganz nach den Bedürfnissen, mit denen jemand zu mir kommt.
Wann würden Sie einem chronisch Kranken empfehlen, ein Coaching bei Ihnen in Anspruch zu nehmen? Bei welchen Signalen sollten man sich Hilfe suchen?
Ich würde chronisch Kranken empfehlen, ein Coaching bei mir in Anspruch zu nehmen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie an einem Punkt stehen, an dem sie selbst nicht mehr weiterkommen, sie mit der eigenen Situation unzufrieden sind oder sich die Frage stellen, wie es weitergehen soll. Oder wenn sie vor einer Entscheidung stehen – Offenbarung der Erkrankung, Jobwechsel oder ähnliches, bei der auch das eigene Umfeld nur bedingt weiterhelfen kann.
Das Bedürfnis, sich selbst zu stärken im Umgang mit der Erkrankung gerade im beruflichen Kontext, ist ein ebenfalls guter Ansatzpunkt für ein Coaching.
Aber auch Schwierigkeiten in der eigenen Akzeptanz der Krankheit und im Umgang damit, können Themen für ein Coaching oder Mentoring sein (mit Ausnahme der medizinischen Fragen).
Signale könnten die eigene Unsicherheit im Umgang mit der Situation sein, aber auch ein Gefühl von Unzufriedenheit. Bei mir selbst ist es immer ein guter Indikator, wenn mein Bauchgefühl und mein Verstand in verschiedene Richtungen wollen. Dann weiß ich, dass ich da mal genauer und mit Unterstützung hinschauen sollte.
Wenn Sie einem Menschen, der sich für Coaching interessiert, Empfehlungen aussprechen würden, welche wären das?
Da Coaching leider kein geschützter Begriff ist, tummeln sich sehr viele selbsternannte Coaches ohne fundierte Coaching-Ausbildung auf dem Markt.
Ich würde daher jedem, der sich für Coaching interessiert, empfehlen, zunächst einmal auf die Ausbildung des Coaches zu achten. Jeder gut ausgebildete Coach wird gerne Auskunft über seine Ausbildung und sein Ausbildungs-Institut geben.
Je nachdem, mit welchen Anliegen jemand in das Coaching kommt, können auch die vorherigen Tätigkeiten des Coaches einen Aspekt für die Auswahl darstellen. Verfügt der Coach also über Expertise in dem Bereich, für den jemand ein Coaching sucht?
Ganz wichtig ist aber auch der menschliche Aspekt. Denn gerade die „Chemie“ zwischen Coach und Klient bildet meiner Erfahrung nach die Basis für den Erfolg des Coachings. Grundsätzlich empfiehlt es sich ein Vorgespräch mit dem Coach zu führen.
Sie haben viele Jahre professionelles Coaching gelernt. Und lernen auch nach wie vor immer weiter… Worauf legen Sie wert bei der Auswahl Ihrer Aus- und Fortbildungen? Und warum?
Ich lege bei meinen Ausbildungen Wert auf die Menschen, die mich ausbilden. Lehrcoaches, die über Erfahrung und Persönlichkeit verfügen, die mich aber auch dort abholen, wo ich gerade stehe. Ich habe nach Ausbildern gesucht, so wie Sie, die mich inspirieren, von denen ich lernen möchte. Denn auch wenn wir im Laufe der Zeit unsere eigene Coach-Persönlichkeit entwickeln, nehmen wir doch ganz viel von den Personen mit, die uns in dieser Zeit begleitet haben und weiterhin begleiten.
Die Ausbildungszeit ist für mich immer eine sehr prägende Zeit gewesen, in der auch sehr viel auf der persönlichen Ebene geschehen ist. Daher ist es für mich wichtig, dass eine Ausbildung ein geschützter Raum ist, in dem ich lernen und ausprobieren darf und viel Feedback bekomme. Daher lege ich Wert auf Ausbildungen, die mit einem überschaubaren Teilnehmerkreis stattfinden, sodass auch ein intensiver Austausch untereinander stattfinden kann.
Selbstverständlich geht es auch um die Themen, die in der Ausbildung vermittelt werden. Daher habe ich mich nach der allgemeinen Coaching-Ausbildung noch als Health & Selfcare Coach ausbilden lassen, da der Ansatz von INHESA ein ganzheitliches Konzept vermittelt, mit dem ich jetzt meine Klienten vollumfänglich betreuen kann.
Was wünschen Sie sich selbst und „der Welt“ für die Zukunft?
Ich wünsche mir für uns alle, dass das Thema Krankheit sowohl im beruflichen aber auch im gesellschaftlichen Kontext enttabuisiert wird. Statistiken zeigen, dass immer mehr Menschen mit einer Erkrankung – chronisch oder auch akut – leben und gerade die Anzahl der Menschen mit chronischen Erkrankungen weiter zu nimmt. Wenn wir alle gemeinsam mit etwas mehr Verständnis durch die Welt gehen, können wir alle mehr Respekt, Toleranz und Wertschätzung im Umgang mit Krankheit und auf dem Weg zu einer besseren Gesundheit erreichen.
Und für mich selbst wünsche ich mir natürlich, dass mich meine Erkrankung auch weiterhin ein relativ normales Leben führen lässt und dass ich viele chronisch Kranke inspirieren und dabei unterstützen kann, ihren ganz eigenen Weg im Einklang mit ihrer Erkrankung zu gehen.
Weitere Informationen zu unserer ehemaligen Auszubildenden Britta Dohr, ebenso wie ihre Leistungen als Coach finden sie auf ihrer Homepage www.brittadohr-coaching.de.